Auch Kunstwerke haben eine Umgebung

Ein Fragenkatalog
von Dagmar Schmidt

Ausstellungen sind ein natürliches Umfeld von Bildern und Skulpturen. Hier treffen unterschiedliche künstlerische Aussagen, unterschiedliche künstlerische Positionen, unterschiedliche künstlerische Mittel aufeinander.

Ein einzelnes künstlerisches Werk trifft auf vielfältige Gegenüber.

Als produzierende Künstlerin muss ich mich fragen, welche optische und inhaltliche Wechselwirkung mein Werk aushalten kann und soll. Ein Gegenüber oder Nebeneinander verstärkt oder überstrahlt mein Werk? Vor welchen Einflüssen sollte und kann ich es schützen? Wie verhalte ich mich als Künstler(in) mit meinem Werk dazu?

Ein Künstler, der ein Kunstwerk in den Öffentlichen Raum platziert, sieht es einer Vielzahl von ihm nicht beeinflussbarer Einwirkungen ausgesetzt, nicht nur das Wetter setzt dem Werk zu, Graffiti verändern die Oberfläche, greifen in die Form ein, verändern die Wirkung der Arbeit im Vergleich zur künstlerischen Atelierentscheidung, Vandalismus… Wieviel kann man abbrechen, ohne dass die künstlerische Aussage beeinträchtigt ist? Eine Werbetafel wird direkt neben dem Kunstwerk platziert. Der Stadtraum verändert sich durch Baumaßnahmen. Wann verliert ein Kunstwerk durch Veränderungen an ihm selbst oder in seiner Umgebung seinen künstlerischen Gehalt, seine künstlerische Bedeutung?

Ausstellungen haben einst eine Gegenwelt dazu geschaffen: Das beliebteste Modell des zwanzigsten Jahrhunderts bei der Präsentation von Kunstwerken in Ausstellungen ist der White Cube. Auf das Eine konzentriert kann jedes Kunstwerk seine Kraft aus sich heraus entfalten, es wirkt für sich, nur seine eigene Stimme spricht. Der Betrachter steht in kontemplativer Versenkung davor.

Wir eröffnen heute hier eine Ausstellung, die einige Besonderheiten vorzuweisen hat. Sie drängt hinein mitten in die Diskussion um künstlerische Urheberschaft, Ausstellungskonzepten und Präsentationsformen sowie der Umgang mit dem noch nicht so alten „Lebens- und Kulturraum“ der virtuellen Welt. Um es gleich vorauszuschicken: Das Modell heißt nicht White Cube, es heißt BBK:ruhm.

Der außen Stehende erlebt eine vielsprachige Präsentation: Acht künstlerische Positionen treffen im Projektraum aufeinander. Acht verschiedene Galaxien laden zur Reise in verschiedene Teile des Universums der Bildenden Kunst ein. Ein Kunstgriff strukturiert die Ausstellung und ermöglicht erst ein Zusammenspiel. Die Verschiedenartigkeit der künstlerischen Stimmen findet ihren gemeinsamen Rhythmus im Einsatz von digitalen Bilderrahmen, die die Funktion der unverzichtbaren, herkömmlichen Schildchen übernehmen. Die Technik bietet jedoch noch mehr als das geduldige Pappschildchen. Die äußerlich gleiche Hülle der Rahmen in ihrer Strenge ermöglicht auf der Bildfläche eine Vielfalt; individueller als mit Pappschildchen oder gar Listen, aber viel eher der Vielfalt der Künstlerinnenpositionen entsprechend.

Der Kunstgriff des digitalen „Schildchens“ schafft aber nicht nur ein Raster, in dessen Rahmen die unterschiedlichen künstlerischen Herangehensweisen ihren Bewegungsraum finden. Er wirft auch Fragen auf: zur Wirkung und Wechselwirkung von Kunstwerken und ihres Umfeldes, die Frage nach dem Kontext – zum Raum, zu den anderen Kunstwerken. Vor allem aber stellt das Konzept dieser Ausstellung unseren Umgang mit dem digitalen Medium zur Diskussion: Acht Künstlerinnen und Künstler zeigen acht unterschiedliche künstlerische Statements dazu, zeigen auf den Tableaus Erweiterungen der analog an der Wand hängenden, im Raum aufgestellten Arbeit oder zusätzliche, analog hergestellte und als digitales Bild wiedergebene, produzierte und reproduzierte Arbeiten.

Produzierte oder reproduzierte Arbeiten?

Was passiert mit unseren analogen Bildern, wenn sie in die digitale Bildwelt eingehen? Wie wirkt sich die Transformation aus? Und umgekehrt: digital erstellt – analog präsentiert? Wirkt sich die Übertragung wirklich aus? Ist der Scann meines Ölbild eine Kopie des Originals oder eine neue Wirklichkeit? Vielleicht gar ein neues Werk? Wie gehe ich damit um? Eine Frage, über die sich Künstler trefflich streiten können und verschiedene Antworten, die jeder für sein Werk und sich trifft.

Der Lichtbildhauer Franz Betz formt Skulpturen aus einem meist filigranen Trägermaterial und Licht. Während seines Studienaufenthaltes im vergangenen Jahr in Indien fasziniert ihn die Leichtigkeit der Improvisation mit Material, das Ganz-und-Garnicht-Perfekte, sondern das Nutzen des Vorhandenen für den nächsten gewünschten Zweck. Die Dinge behalten ihre Geschichte und nehmen diese auch in ihren neuen Zusammenhang mit. Das hinterleuchtete Schildchen ergänzt Eindrücke und Ausschnitte von Franz Betz` indischer Erfahrung, Blick.

Karola Framberg beschreibt mit ihrer Bilderserie die Geschichte ihres Exponates: an spanischen Küsten hat sie angeschwemmte Kunststoffteile aller Art gesammelt. Die zufälligen Fundstücke des Mülls gruppiert sie farbig sortiert auf kreisrunden Displays, häkelt aus zu Bändern zerschnittenen Plastiktüten ästhetisch hochwertige Objekte – pars pro toto als Appell gegen die unglaubliche Verschmutzung der Meere und für Wiederverwertung des Abfalls. Die handwerklich gefertigten Objekte sind gewirkt, wie auch die digital produzierten Bilder im Rahmen ineinander gewirkt erscheinen.

Eva Friedrich zeigt in dieser Ausstellung erstmals die Videoarbeit When I Was… Das Video beschreibt eine Entwicklung, inspiriert durch eine Äußerung von Joseph Beuys, aus einem „unklaren“ Leben ohne Schöpferkraft, ohne Ziele, ohne Freiheit durch das Bewusstwerden der Gestaltmöglichkeit, durch Nachdenken aus sich selbst heraus zu neuer Kraft, Gestaltkraft zu finden.

Der lange Studienaufenthalt in San Francisco spiegelt sich im Werk von Michaela Hanemann wider. In ihrer Malerei verwebt sie abstrakte und real lesbare Formen zu magischen Bildern. Wie aus dem Nebel tauchen Erfahrungsbilder aus den Farbbewegungen, oder verschwinden sie gerade? Das Rätsel bleibt. Die hier gezeigte viel versprechende Stadtstraße lockt zum Hineintauchen in das Leben, macht aber auch Angst. Vom Gemalten noch hin und her getrieben, kommentieren die Fotos auf dem Display den individuellen künstlerischen Blick.

Ursula Krämer transformiert Gewohntes, Gewöhnliches aus der materiellen Realität in die Malerei und erzielt durch einen Perspektivwechsel ganz unerwartete Umdeutungen und Blicke fern der bestimmungsmäßigen Funktion. Die beiden Arbeiten mit dem Titel „d 1,2 …“ aus einer aktuellen Serie fokussieren Dinge oder Details mit Öffnungen. Der Bildeindruck bewegt sich von einer Fläche zu einem tiefem Einblick in eine Architektur – eine Öffnung, erscheint wie ein Raum. Eine neue Wirklichkeit ist entstanden.

Katharina Lob ist Reiterin und Fan von Islandpferden. Und Island spielt in ihrem künstlerischen Werk eine bedeutende Rolle. Eisland heißt ihr aktuellstes Projekt. Sie hat mit der ihr eigenen Technik, Acryl, Tuschen, Lacke, Salz auf Plexiglas ihre künstlerische Entsprechung für das Besondere gefunden, das ihr Darstellungsinhalt ist und das ihrer Faszination Ausdruck gibt. Island, Pferde, Wetter, Licht.

Christiane Mauthes Arbeiten sind bekanntermaßen von einer minimalistischen Strenge geprägt. Immer spielt jedoch auch ein lesbarer handwerklicher Aspekt eine Rolle. Der Betrachter kann erkennen, dass dieses Bild einen Prozess durchlaufen hat. In diese Ausstellung, die über Urheberschaften und das Gegenüber von Analog und Digital nachdenkt, trägt sie den Gedanken des unmittelbaren Vergleichs: Fotografien von bewegten Wasseroberflächen wechseln rhythmisch gleichmäßig im digitalen Bildrahmen. Die perfekte Technik bildet getreu jede natürliche Form ab, der Aufnahmeausschnitt führt sie zu einem abstrakten Gebilde. Das Bild ist an der Wand ist digital erstellt und analog präsentiert.

Jean-Robert Valentin thematisiert ein multiples Designobjekt, signiert durch seine Marke. Durch die Übertragung des Objektes in das im Allgemeinen noble Medium der Malerei wird das Objekt zur Ikone erhoben. Eine Ikone des Konsums, mehrfach größer als das Original. Was ist Ihnen mehr wert: das Original des Produktes (und seine Marke) oder sein gemaltes Abbild?

Für einen Videokünstler wie Jean-Robert Valentin ist das Spiel mit Entleihungen, Umarbeitungen fremder Originale, von Vorlagen und Bildern anderer Urheber mit dem Respekt am Werk genauso selbstverständlich wie er seine Werke freigibt. Das Abbild ist zweifelsfrei ein neues Original, oder?

Wir als produzierende bildende Künstler sehen uns vielen Fragen gegenüber, die diese Ausstellung hier anspricht. Dass der Kreis der Fragestellerinnen genau die aktivsten Mitglieder des BBK in Hannover sind, nämlich der Vorstand der Bezirksgruppe, zeigt die richtige Wahl. Die Ausstellung überschreibt den Fragenkatalog mit ihrem Titel signiert und dessen Umsetzung im Raum: sie zeigt die originalen Künstlersignaturen alle auf den digitalen Bildrahmen.
Oder ist das eher eine Frage?

Die Diskussion ist eröffnet.

Dagmar Schmidt, Langenhagen

10. Januar 2013

anlässlich der Vernissage „signiert“ im BBK:ruhm, Hannover